Wenn wir an Weihnachtstraditionen denken, dann vielleicht an sowas wie den Kartoffelsalat mit Würstchen, den es schon seit unserer Kindheit Heiligabend gibt. Oder man denkt daran, wie die Großfamilie sich jedes Jahr in der Kirche trifft. Aber es gibt auch viele alljährliche Weihnachtstraditionen, die vielleicht von der Situation abhängen, in der man gerade lebt oder damals lebte oder von der eigenen Persönlichkeit. Diese kleinen Geschichten spiel(t)en sich nicht überall ab, aber vielleicht dennoch in mehr Familien als man denkt.
Wir haben uns einmal bei unseren Lesern und Leserinnen umgehört und sie erzählen lassen. Da nicht alle ihren vollen Namen in der Zeitung lesen möchten, haben wir sie abgekürzt. Das Alter scheint uns allerdings aufschlussreich zu sein.
Ferdinand S. (75)
Moos holen für die Krippe der Anna Kapelle
Ich verbinde Weihnachten und die Woche vor Heiligabend immer mit dem Schmücken der Anna Kapelle in Rommersdorf. Mein Vater war in den 50er und 60er Jahren unter anderem als Mitglied des Bürgervereins dafür mit zuständig, vor Weihnachten ein großes Gerüst um den Altar herum aufzustellen und darauf die Krippe aufzubauen. Bevor der Krippenaufbau allerdings geschehen konnte, mussten wir vier Kinder kurz vor Heiligabend zu Fuß zum Leyberg laufen, um dort Moos zu holen. Der Leyberg ist weit entfernt von Rommersdorf. Aber nur dort gab es so viel Moos auf großen Steinen, dass man dort sehr großflächige Moosteile holen konnte, die zudem sehr dünn waren und deshalb ideal für die Verkleidung des Gerüstes. Wir packten die großen Moosteile in mehrere Säcke und schleppten sie tatsächlich auf dem Rücken zu Fuß zurück nach Rommersdorf. Wenn das Gestell dann mit Moos bestückt worden war, gab es viele weitere Helfer „im Dorf“, die das Ganze mit Blumen und Krippenfiguren und Tieren etc. schön dekorierten und ausstatteten. Das war für uns ungeheuer eindrucksvoll, und wir hatten wirklich Weihnachtsgefühle der heiligen Art. Mit dem Rest Moos haben wir dann unsere Familienkrippe zu Hause noch ausgelegt. Die Krippe in der Anna Kapelle war also schon damals eine große Attraktion für die Bad Honnef Bürger und Bürgerinnen. Jahrzehntelang waren die Arbeiten daran u.a. Aufgabe unserer Familie. Das Amt war uns eine Ehre! Auch heute gibt es noch eine tolle Krippe in Rommersdorf zu bestaunen, die immer noch vom Bürgerverein alljährlich mit viel Arbeit aufgebaut wird und bestaunt werden kann.
Carolin T. (41)
Unsere Patchwork Familie hat aus der Not eine Tradition gemacht
Wie lautet der erste Satz von Tolstois Anna Karenina: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, aber jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ An diesem Satz muss ich an jedem Heiligen Abend denken, seit ich mich von meinem Mann getrennt habe, mit dem ich zwei gemeinsame Kinder habe. Selbstverständlich haben wir versucht, es den Kindern so einfach wie möglich zu machen und die getrennten Weihnachten so normal wie möglich aussehen zu lassen. Eigentlich war aber immer einer traurig, entweder mein Mann oder ich oder unsere jeweiligen Eltern und am Anfang selbstverständlich vor allem unsere Kinder. Als neue Partner dazu kamen, wurde es noch einmal komplizierter, zumal weil sie auch Kinder aus ihren ersten Ehen haben. Immer hieß die Frage: Wer geht zu wem und wann und mit wie vielen Geschenken bewaffnet? Die Geschenkeflut der Anfangsjahre haben wir dann abgebaut, in dem wir einen akribischen Plan erstellt haben, wer wen in diesem Jahr wichtelt und bis zu welchem Betrag die Geschenke kosten dürfen. Im Laufe der Jahre, nachdem die Wunden der Trennung ein wenig geheilt waren, konnten wir sogar mit den getrennten Familien zusammen feiern. Eigentlich wurde es immer schöner. Heute feiern wir mit allen Opas und Omas und Bonus-Opas und Bonus-Omas und Bonus-Kindern an Heiligabend eine große Party. Ich bin sehr dankbar, dass das jetzt alles so gut funktioniert.
Lilo P. (87):
Gemeinsam Geschenke einpacken als Mutter-Tochter-Tradition
Ich bin schon seit vielen Jahren gehbehindert und wohne nun seit zwei Jahren im Altenheim. Ich kann also schon länger keine Geschenke mehr für alle meine Lieben einkaufen. Ich möchte aber auch nicht immer Geld schenken. Und so springt schon seit vielen Jahren meine Tochter für mich als „Christkind“ ein. Was ich besonders toll finde, ist, dass sie immer darauf achtet, vorher mit mir mögliche Geschenkideen durchzusprechen und mir auch nachher zeigt, was sie gekauft hat. Immer packen wir dann auch die Geschenke zusammen ein, so dass ich wenigstens ein bisschen das Gefühl habe, dass ich mit mehr als nur mit Geld beteiligt war. Ich rechne es ihr sehr hoch an und freue mich sehr darüber, dass sie das jedes Jahr nicht nur für mich macht, sondern auch noch für ihre Schwiegermutter. Eigentlich ist das gemeinsame Geschenkeverpacken kurz vor Heiligabend für uns immer die schönste und ruhigste Mutter-Tochter-Zeit und schon ein vorgezogener kleiner Heiligabend für mich. Darauf freue ich mich jedes Jahr am meisten. Ich würde meiner Tochter wünschen, dass sie mit ihrer Tochter mal eine ähnliche Tradition fortsetzt.
Marlies B. (65):
Die Weihnachtsgutscheine des Sohnes heute als ein Highlight des Jahres
Mein Sohn wurde jedes Jahr von Weihnachten überrascht. Dann zog er immer am Heiligen Abend um 16:00 Uhr los, um für alle Familienmitglieder noch etwas zu kaufen, was häufig von wenig Erfolg gekrönt war. So bekamen wir jedes Jahr Gutscheine von ihm unter den Tannenbaum gelegt. Er schämte sich immer ein bisschen dafür. Im ersten Jahr bekamen wir einen Gutschein für „Mathe lernen“ – nun ja… Mal gab es einen für “1x den Müll runterbringen” oder für „Spülmaschine ausräumen“. Aber über die Jahre hinweg wurden die Gutscheine durchaus fantasievoll. Dann gab es einen Gutschein für “einen Spaziergang durchs Siebengebirge mit Kaffeetrinken im Milchhäuschen” oder “eine gemeinsame Radtour”. Nachdem die Einlösung der Gutscheine in den ersten Jahren auch schon mal vergessen wurde, haben wir uns über die Events auf den Gutscheinen zunehmend gefreut und den erwachsenen Sohn gebeten, diese Tradition beizubehalten. Wir genießen es heute sehr, mit unserem mittlerweile 40 Jahre alten Sohn Zeit zu verbringen und freuen uns jetzt jedes Jahr über die originellen Ideen. Aber warum es meistens die Männer sind, die gar nicht mit kriegen, dass es bald Weihnachten ist, bleibt uns ein Rätsel.
Claudia S. (68)
Jedes Jahr Krach an Heiligabend um das Aussehen des Tannenbaums
Meine Eltern hatten während meiner Kindheit eine Tankstelle und eine Autowerkstatt, die selbstverständlich an Heiligabend auch bis abends geöffnet hatte. Verständlich, dass danach keiner meiner Eltern mehr Zeit oder Lust hatte, einen heiligen und geruhsamen Abend zu feiern. Im Gegenteil – in unserer Familie passierte Weihnachten immer auf den letzten Drücker. Mein Vater war zwar mit dem Besorgen des Weihnachtsbaums quasi schon im Sommer beauftragt worden, aber offensichtlich gelang es ihm erst in letzter Minute, einen Baum zu kaufen. Dieser führte dann in jedem Jahr am „heiligen“ Abend zum Krach zwischen meinen Eltern. Eigentlich ging es natürlich nicht um den Weihnachtsbaum, sondern man suchte nur irgendeinen Grund, um sich vom Stress der letzten Weihnachtswochen zu erholen. Die Kunden sind in diesen Wochen nicht die einfachsten. Sie haben Stress, den übertragen Sie auf die Dienstleister – in meinem Fall meinen Vater und meine Mutter. Die Kunden wollen Heiligabend z.B. die weit entfernten Verwandten besuchen, und dummerweise funktioniert das Auto nicht mehr. Oder man will am ersten Weihnachtstag in den Urlaub fahren und hat noch keine Winterreifen drauf und so weiter. Das alles musste Weihnachten bei uns der arme Weihnachtsbaum ausbaden: „Der hat ja gar keine richtige Krone“, schimpfte dann meine Mutter. „Der ist ja vollkommen schief“, hieß es im nächsten Jahr. „Siehst du denn gar nicht, dass der Baum schon reert“ (nadelt), so meine Mutter heftig, und es folgte immer ein lautstarker Streit, weil mein Vater das natürlich gar nicht gesehen hatte und wir Kinder es auch jetzt noch nicht sahen. Uns war es auch egal, wie der Baum aussah. Für uns war es wichtig, was drunter lag. Am Heiligen Abend selber lag bei uns (aus den genannten Gründen) aber noch kein Geschenk unterm Baum. Wir feierten Weihnachten „amerikanisch“ – bei uns gab es alle Geschenke erst am ersten Weihnachtstag. Ich war schon über 20 Jahre alt, als ich meinen ersten “normalen“ (deutschen) Heiligabend feierte. Man vergisst eigentlich viel zu häufig, wie viele Leute Heiligabend noch spät arbeiten müssen oder sogar das ganze Weihnachtsfest über.